Dem ersten Blick auf das gut vier Jahrzehnte umfassende Werk von Gerhard Moll mögen in den unterschiedlichsten Wandlungsformen seiner Malerei vor allem Gegensätze, ja, Widersprüche auffallen. Dennoch wechselt nicht einfach, und sei es in abrupten Brüchen, eine Stilphase die andere lediglich ab, sondern sie scheinen sich auf ungewöhnliche Weise zu durchdringen, sind unterschwellig miteinander verknüpft – selbst dann, wenn die mitunter schwere Figürlichkeit zugunsten einer leichten, schwebend hingetuschten abstrakten Gestik völlig aufgegeben zu sein scheint. Schaut man jedoch genauer, so entwickelt sich bei Moll gerade die »lyrische Abstraktion« wie in einem Filterungsprozess aus seiner dingverhafteten Bilderwelt heraus – und umgekehrt. Als ob sie insgeheim schon immer da gewesen wären, treten aus den ungegenständlichen Blättern nach und nach Fabelwesen und Figuren wieder hervor und verselbständigen sich im Spätwerk in einem umfassenden Rückgriff auf die Bilderwelt der frühen Jahre erneut zu einem verschwiegenen und doch alles umfassenden »teatrum mundi«.
In seinen frühesten Bildern, Anfang der 40er Jahre, noch im Kriege, noch unter dem Verdikt der »entarteten Kunst«, baut er augenscheinlich vom deutschen Expressionismus inspiriert – gleichermaßen Figuren wie Architekturbilder zunächst als strenge Flächenkompositionen aus wenigen, leuchtend kontrastierenden Farbfeldern. Mit drei Bildern, die hier für eine ganze Reihe von Arbeiten im Gesamtwerk stehen – »Mulackstraße«, »Heilstaetten Stralsund«und »Hiddensee« , ist das Feld seiner Kunst unter verschiedenen Aspekten abgesteckt, denen natürlich in der Entwicklung seiner Malerei jeweils unterschiedliche Gewichtung zukommt. Zentrale Thematik ist bei Gerhard Moll immer das Menschenbild – und sei es das abstrakte Spiegelbild seiner Innenwelt. Dazu gehören immer seine Erfahrungen, die er mit den Menschen und in der Welt macht – Erfahrungen, die ihn berühren oder die ihn beunruhigen und bedrängen. Dazu gehört auch der Ort des Menschen, der bisweilen wie ein Gegenbild erscheint, die Natur; seltener, aber immer wieder, auch die Stadt. Hinzukommt schließlich ein gleichsam halluzinierter Blick, mit dem das Wahrgenommene im Bild übersetzt wird.
Das Bild »Heilstaetten Stralsund« reflektiert mit weit in die Tiefe fahrenden und zugleich hoch in die Fläche geklappten Raumperspektiven endlose Verlassenheit, die Not des hilflosen Ausgeliefertseins und die hermetische Isolation während Molls zwangsweisen mehrmonatigen Aufenthalts 1943 dort, wo das Leben unter schwer Geisteskranken bei ihm zu einem Nervenzusammenbruch führte. Dagegen ist das menschenleere »Hiddensee« von nahezu paradiesischer Ruhe und Ausgewogenheit. Durch die strenge Reduktion der Komposition auf wenige, ähnliche Formen offenbart das Bild jedoch, dass die geborgene Sicherheit eine geborgte ist, eine im Bild hergestellte, entworfene, eine Ordnung, die Halt nach traumatischen Erfahrungen gibt. Und der angeschnittene weibliche Halbakt ist wie eine Erscheinung, Sehnsuchtsvorstellung und zugleich Verheißung. In » Mulackstraße« sind die Figuren in einen Bildraum gestellt, der von zahlreichen gegenläufigen und sich überschneidenden Koordinaten splittrig aufgebrochen ist und nervöses Großstadtgetriebe suggeriert. In spannungsreichem Gegensatz dazu sind die Menschen, wie in einem angehaltenen Film, zu statuarischen Posen erstarrt. Ein bekleideter Mann steht in der Tiefe des Raumes einer bekleideten weiblichen Gestalt gegenüber. Die Akte um sie herum erscheinen surreal, nimmt man das Bild als Schilderung der Straße. Sie sind in dem Moment real, wenn man sie als Vorstellungswelten des Mannes erkennt. Dann erfährt der Betrachter plötzlich – wie in der Bewegung eines mächtigen Sogs – die von Hektik und grellem Licht durchstrahlte Szenerie in ihrer dröhnenden Leere, erkennt er den bewegten Außenraum als Spiegelung der aufgewühlten Innenwelt.
Ganz unverstellt begegnen wir hier einem weiteren zentralen Element in der Malerei von Gerhard Moll, der Erotik, Urenergie des Lebens. Sie ist die Triebfeder seiner Kunst, die immer im Allerpersönlichsten und Allerprivatesten verwurzelt ist; gerade deswegen ist sie aber auch alles andere als privatistisch. Denn im Beispiel der einsamen individuellen Erfahrung weiten sich die Bilder zu Spiegelungen von Welterfahrung und damit zu Weltbildern. Erotik ist für Moll aber nicht nur die Lebensenergie, sondern auch die Todeskraft. In seiner melancholischen Sicht ist die Erotik auch das unüberwindbare Glashaus, in das jeder einzelne gesperrt ist; sie ist der Käfig, sie ist der abgeschiedene Ort und das Gefängnis des Lebens; sie überwölbt alles. Die Spannung zwischen den Geschlechtern, die Sehnsüchte und Begierden führen die Menschen nicht tatsächlich zusammen; in ihnen offenbart sich vielmehr gleichzeitig die schneidende Erkenntnis der unüberbrückbaren, verlorenen Verlassenheit des Menschen.
Nach dem Ende des Krieges, bis zu Anfang der 50er Jahre, entwirft Moll in einer langen Werkfolge bühnenartige Szenerien, die von surrealen Gestalten bevölkert sind. Die wie kubistisch in die flache Tiefe des Bildraumes gestaffelte Bildordnung ist jedoch weniger mit Hilfe eines zeichnerischen Gerüsts als aus der plastischen Suggestivkraft der Farbe entwickelt; aber auch von den Dingen und Figuren selbst. Von einer geheimnisvollen Energie getrieben, schieben sich unterschiedlichste und unwahrscheinlichste Raumsituationen in die Gleichzeitigkeit des einen Bildfeldes: Brücken, die ins Nichts führen; Turmgerüste mit Lampions; kastenartige Innenräume mit schiefen Ebenen; felsengleiche Inseln, auf denen unerreichbar ein weiblicher Akt sitzt; auf einem anderen Bild ist er, von einer gefräßigen Drachenmaschinerie bedroht, hilflos in das weitmaschige Netzwerk der Lineaturen verstrickt. Vögel treten auf, die ihr Reich mit langen roten Schnäbeln pickend erkunden oder in hängende Käfige gesperrt sind. Auch das Liebespaar ist bisweilen in solche Vergitterung eingefangen oder es schwebt in diesen ungerichteten, schwankenden Räumen wie ortlos über Blumensträuße hinweg; kopflose Harlekine treten auf, riesenhaftes Insektengetier wandert mit langen Fühlern tastend über die Bildfläche, Skelette haben wie selbstverständlich ihre offene Lagerstatt. Inmitten dieser traumhaften und zugleich alptraumhaften, surreal erzählenden Fabelwelt aus Masken, Gerippen, Fischen und Vögeln in sich wandelnden Räumen hat, so scheint es, das liebend verschlungene Menschenpaar letzte Zuflucht gefunden – die letzte Geborgenheit in einer Welt, die alles birgt: neben der Lust den Tod, neben der Freude die Einsamkeit, neben der zuwendungsvollen Begierde den isolierenden Zwang, neben der Selbstbestimmung die Fremdbestimmung, neben der Zärtlichkeit die Gewalt. Ein bitteres Weltbild, in dem ein letztes Mal von ferne noch die Vorstellung des alles erfüllenden und von allem erfüllten Paradiesgartens aufschimmert, der aber zugleich verwüstet ist von der Leere, Absurdität und Sinnlosigkeit eines Beckett’schen Nicht-Orts. Dann und wann tritt im vordersten Bildplan eine männliche Figur auf, die in Verzweiflung gekrümmt ist oder mit erhobenen Händen nach dieser Welt tastet, die sich stumm, verlockend und erschreckend hinter der Glaswand eines Aquariums in Szene gesetzt hat.
Mit solch halluzinierter und visionärer Bildwelt stand Gerhard Moll damals nicht allein. Maler wie Heinz Trökes oder Wolfgang Frankenstein, die mit ihm zum Künstlerkreis der Galerie Gerd Rosen gehörten, hatten in ihren Arbeiten ebenfalls die Methode des französischen Surrealismus, vor allem eines Max Ernst, aufgegriffen, um den Wahnsinn der gerade überlebten Terrorherrschaft und der unwirklichen Erscheinung der tatsächlichen Realität zerbombter Städte in beschwörenden und bannenden Gegenbildern widerzuspiegeln.
Dennoch sind diese Bilder von Gerhard Moll in ihrer Haltung, in ihrer Sicht auf die Wirklichkeit, sehr anders. Trökes hielt der unfassbaren Absurdität der Welt in seinen Gemälden und Collagen die aufatmende, frühe Heiterkeit des »Wir sind noch einmal davongekommen« entgegen. Bei Frankenstein dagegen bestimmten schmerzliche Melancholie und bedrängende Zweifel, wenn nicht Hoffnungslosigkeit, seine alptraumhaften Bilder – darin Moll nicht unähnlich. Mit einer fast wütenden, bitteren, rücksichtslosen und durchaus auch selbstzerstörerischen Schärfe hat aber Gerhard Moll, wie kein anderer seiner Generation, in diesen Jahren des Neubeginns in Berlin sein persönlichstes Welterleben in Weltbilder übersetzt. In ihrer Genauigkeit entsprachen sie nicht nur dem damaligen Zeitgeist, sondern waren eindringliche anschauliche Entsprechungen einer grundlegenden Weltsicht. Dass niemand dieses Weltbild — trotz anfänglicher Ausstellungserfolge, zum Beispiel bei Gerd Rosen – gern sehen wollte, während dieselbe Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten in der hermetischen Stringenz des Welttheaters eines Samuel Beckett sich nach und nach selbst wiedererkannte, kann man als zynische Anmerkung der Geschichte einordnen. Dieses Nicht-wahrnehmen-wollen der Kunst von Gerhard Moll hatte aber ebenso seine Gründe im Kunstbetrieb, der an >schöneren<, hoffnungsvolleren und natürlich international abgesicherten Kunstentwürfen interessiert war.
Moll ging unbeirrt seinen Weg. Es verwundert nicht, dass seine scharfe Sicht auf die Wirklichkeit mit gesellschaftskritischer Hellsicht verbunden war, die ihn über sein Engagement im Widerstand gegen den Nationalsozialismus direkt zu der Überzeugung führte, auch der Künstler habe mit seinen Mitteln seine unaustauschbare Verantwortung für den Zustand der Welt. Seine Teilnahme an der Ausstellung »Künstler schaffen für den Frieden«, 1951 in Ost-Berlin, trug ihm nicht nur den Ausschluss aus der Künstlergemeinschaft »Der Ring« ein, sondern führte im Kalten Krieg auch dazu, dass er für lange Jahre an westlichen Gruppenausstellungen nicht beteiligt wurde.
Man darf Gerhard Moll, ohne in Widerspruch zu seinem politischen Engagement zu geraten, wohl auch eine gewisse Weltfremdheit unterstellen – nennen wir sie besondere Empfindsamkeit und in seiner unbändigen Sehnsucht nach Leben auch im besten Sinne romantisch. Ermutigt durch seine Freunde Frankenstein und Grzimek verlagerte er in den 50er Jahren, weiterhin im Westen lebend, seinen Arbeitsschwerpunkt in den Ostteil der Stadt, was ihm für diese Zeit den schmalen Lebensunterhalt sicherte, sei es als künstlerischer Assistent an der dortigen Akademie der Künste, sei es als Mitarbeiter an mehreren großen Wandbildern. Doch kann man sich leicht vorstellen, dass ihn der Optimismus einer neuen heilen Welt des sozialistischen Realismus künstlerisch kaum im Nerv getroffen hat.
1961, mit dem Mauerbau, war er von dieser den Alltag sichernden, künstlerisch ihn aber wohl wenig erfüllenden Lebensader abgeschnitten. Nichts war einfacher, als seiner gewachsenen Neigung nach Rückzug sowohl aus dem praktischen Leben wie dem des Kunstbetriebs nachzugeben und isoliert, sich um nichts als seine Kunst (und seine Bücher!) kümmernd, in äußerster Armut zu arbeiten. Hatte er doch längst, Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre, innerhalb seiner surrealistischen Bilder ein Thema entwickelt, dass er nun verwandelnd wieder aufgreifen konnte.
Er hatte damals aus dem Kosmos seiner erzählerisch überlagerten Bildwelten eine abstrakte Maschinerie herausgegriffen und isoliert zum vielfach variierten und weiterentwickelten Bildthema erhoben – ein »Unsicheres Fahrgestell I«.Zunächst war es nichts anderes gewesen als genau dies, nämlich sehr abstrahiertes, wackliges Klappergerüst mit weitgehend funktionslosem Räderwerk, das, in fragwürdiger Balance sich haltend, tentakelgleich tastend in den leeren Raum ausgriff. In kaum angedeuteten, ebenso abstrakten Bildgründen erschienen sie als Denkmäler ihrer selbst, monumental und bedrohlich. Bald schon wuchsen sich vereinzelte Greifzähne zu einem mächtigen, baggerartigen Rachenwerkzeug aus. In manchen Bildern und Aquarellen ist es beherrschendes Motiv (»Die Umgarnte«), in anderen verschwindet es fast ganz in einer dichten Versammlung undefinierbarer Gerätschaften und amorpher oder kristalliner Formen (»Strandgut«).
Hier genau lag einer der Ansatzpunkte für seine ungegenständlichen Aquarelle aus den 60er Jahren. Der erste Blick, der das Sehen abstrakt – lyrischer Malerei gewohnt ist, mag sie lediglich für eine weitere Variante in der allgemeinen Flut solcher Bildformulierungen halten. Innerhalb des Werkes von Gerhard Moll sind sie etwas anderes. Das Thema des »Unsicheren Fahrgestells« greift er in unzähligen Blättern wieder auf. Leinwände konnte er sich seit langem schon nicht mehr leisten. Und das schnellere Arbeiten auf dem Papier kam seiner Art der Formsuche sehr entgegen. Sie bestand in diesen Jahren selten im Überarbeiten und Korrigieren, als vielmehr im geduldigen Wiederholen einer Bildidee in immer neuen, nuancenreichen Veränderungen. Das hier herausgegriffene Thema des knirschenden Freßapparates wird dabei seiner erfundenen Bildgegenständlichkeit immer mehr entkleidet, durch ineinander verfließende Farbsetzungen in seinen Konturen aufgelöst und nur hier und da mit zeichnerischen Eingriffen in Erinnerung gerufen (»Unsicheres Fahrgestell III«): ein Rad, eine Deichsel, ein nicht sofort zu erkennender, aufgerissener und zackenbewehrter Rachen.
In den langen Zyklen, in denen Moll ganz verschiedene Themen unermüdlich neu aufgreift, gibt es in der Regel stets eine verschleiert hinterliegende Schicht des Gegenständlichen, das aber nicht der äußeren Wirklichkeit entstammt, sondern aus den von ihm erfundenen Bildern, von denen Moll sich gleichzeitig arbeitsam entfernt. In diesen Aquarellen der 60er Jahre grenzen sich lichte Farbfelder voneinander ab oder fließen funkelnd ineinander; sie werden mit einem bewegten, dicht verknüpften Netzwerk aus schwarzen Flecken wie von einer wuchernden Naturarchitektur überzogen, die von farbigem Licht durchstrahlt ist; aus gestischen Setzungen rein bildnerischer Notationen gelingt es Moll, eine flirrend transparente, atmosphärische Landschaftlichkeit einzufangen. Und doch hat das Verfahren, das er dafür verwendet, nur sehr wenig mit dem damals international verbreiteten Stil der bildautonomen Abstraktion zu tun. Seine Malerei gibt sich spontan, aus lockerer Handschrift entwickelt, die wie aus dem Unbewussten heraus willkürliche Eingebungen festhält. Tatsächlich sind diese Blätter jedoch in zahllosen Wiederholungen durch einen kontrollierenden, gleichsam sich selbst ständig beobachtenden Formprozess gegangen. So verwundert es nicht, wenn Moll in den 70er Jahren diesen fließend bewegten, dem Wachstum vergleichbaren Vorgang des Bildermachenseiner innehaltenden Gegenbewegung aussetzt und das Bildfeld sich zu kristallinen Farbformationen verdichtet. (»Inselschrift«)
In dieser gebauteren, beruhigteren, fast meditativen Bildform stellt sich aber auf den verschiedensten Wegen sehr schnell schon – wie sollte es bei dieser nervös-gespannten Sensibilität anders sein – aufs neue Beunruhigung ein, und zwar wiederum durch die so lange zurückgestellte Gegenständlichkeit, die jetzt in schriller Farbigkeit einherkommt. Die Welt nagt und drängt nach Bildern, in denen sie sich sichtbar spiegeln kann.
Es ist ein seltsames, lineares Vogelgetier, das sich diese dicht gefügten Farbinseln zum Aufenthalt nimmt – sich durch zeichnerische Überlagerung lauthals in den Vordergrund schiebt oder direkt aus der Bildordnung heftig herausdrängt. Staunend, frech, pickend und hackend erobert es sich mit natürlicher Boshaftigkeit rücksichtslos seinen Raum. Schließlich verwandelt sich dieses Vogelgetier zu unverhüllt aggressiv auftretenden Verkörperungen, denen Frauenakte mit Verkehrszeichen ein »Halt!« entgegensetzen.
Und endlich, in den 80er Jahren, kleiden sich alle Figuren noch einmal zu einem großen Auftritt, wappnen sie sich zum letzten Kampf, mit Helm und Harnisch, mit Motorradhelm und Ledermontur, wie Kosmonauten oder Raubritter der Straße – aber auch wie zeitgenössisch gekleidete Heroen, Götterbilder gar, aus ferner Mythologie, in denen sich immer noch das Bild der Gegenwart verfängt.
Kurz vor Molls Tod entsteht aber noch eine Reihe von Arbeiten, in denen er diesmal seine Menschenbilder frei in den Bildraum stellt, nackt, von allem entblößt, zu Figuren erstarrt. Es sind tatsächlich Bilder von Skulpturen, gesehen im Bildhaueratelier seines Freundes Waldemar Grzimek. Aber auch hier unterliegt die überschaubare Wirklichkeit, der äußere Bildanlaß, dem durchdringenden, interpretierenden Blick Gerhard Molls, verwandelt er das Gesehene in einen magisch verfremdeten Bühnenauftritt des blicklosen, im Wortsinne beschädigten Menschen, der auf den Tod verletzten Existenz. In einem großen Kreisschluss ist dieses letzte Weltbild noch einmal fragmentarisch durchdrungen von fernen Erinnerungen an seine frühen Bilder: ob die kopflose Gestalt oder das Aquarium in »Der Ausschnitt«,ob surreales Gestänge in »Atelier«, ob die zu großzügigen Formen zusammengefassten, ortlos durch das Bildfeld treibenden, wie versteinerten Menschenleiber in »Letale Komposition «.
Ein eigentümliches Werk! Das alles ist sehr privat, sehr persönlich, sehr verschlüsselt und zugleich sehr direkt, unverstellt und schutzlos. Manchmal entdeckt man ganz klare, durchaus zeitgemäße stilistische Bezüge, von denen diese Bilderwelt angeregt ist: ob Kubismus und Surrealismus in seinem Frühwerk; ob der internationale Tachismus in den 60er Jahren; dann wieder bedient sich Moll völlig unzeitgemäßer Rückgriffe, so will es scheinen, wenn man die Motorradfahrer- und Verkehrszeichenbilder in Beziehung zur Popart der50er Jahre setzt. Moll hat sich um solche Abhängigkeiten und Bezugsfelder nicht gekümmert. Ihm ging es in seiner Malerei allein um anschauliche Entsprechungen zur Fragwürdigkeit unserer Existenz. Wusste er doch von der lebensfeindlichen Unwirtlichkeit und knisternden Brüchigkeit des Eises, auf dem wir uns bewegen, wenn wir unseren Lebensraum durchschreiten.
Aus dem Katalog (vergriffen): Gerhard Moll, Gemälde und Aquarelle, Galerie „Inselstrasse 13“ in Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie, Museum für Moderne Kunst, Photographie und Architektur, Berlin 1993
(c) Text – Berlinische Galerie, Webseite / Zimmer-Moll, Schirmbeck 2003